Die Stadt ohne Juden

Dokumentation einer vergessenen Geschichte 

Adriana Könemann, Helge Tramsen, Tobias Pflug, Anna Rödiger, Peer Gahmert, Tim Gerhards, Florian Sommer, Timo Reichenberger

EINE ART SATIRE NACH HUGO BETTAUERS GLEICHNAMIGEN ROMAN VON 1922

Vor 100 Jahren veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Hugo Bettauer (1872-1925) seinen erfolgreichsten Bestseller »Die Stadt ohne Juden«. Die Satire auf den Judenhass in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erscheint im Nachhinein erstaunlich prophetisch und wenig grotesk: Eine rechtsnationale und offen antisemitische Regierung verbannt alle Jüdinnen und Juden sowie alles Jüdische aus Österreich.

»Glauben Sie, dass die Deutschen auch solche Trotteln wie wir sind und ihre Juden hinausschmeißen werden?«

Aus dem Buch. Und dem Stück.
Fotos: Sebastian Anheuser

INHALT

Österreich, Anfang der 1920er-Jahre: Nach dem verheerenden Weltkrieg liegt die Wirtschaft der noch jungen Republik brach. Unruhen erschüttern das Land und führen schließlich zu Neuwahlen. Die Christlichsoziale Partei unter ihrem Führer Karl Schwertfeger hat die vermeintliche Ursache für alle Probleme erkannt und gewinnt die Herzen der Menschen mit der Parole »Hinaus mit den Juden aus Österreich!«

Das Versprechen wird in die Tat umgesetzt: Innerhalb von wenigen Monaten müssen alle jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner sowie solche mit jüdischen Vorfahren das Land verlassen, ihr Besitz geht an den Staat und die Wiedereinreise wird mit dem Tode bestraft. 

Österreich entwickelt sich entgegen den Erwartungen aber nicht zu einem prosperierenden Staat – und auch kulturell hinterlässt die Ausweisung aller Juden schmerzhafte Spuren. Dazu trägt auch ein junger jüdischer Künstler bei, der heimlich aus seinem Exil zurückkehrt und trickreich dabei hilft, sein Heimatland wieder zurück in den Kreis der zivilisierten Länder zu führen.

HINTERGRUND

Hugo Bettauers Geschichte ist heute, wie der Autor auch, weitgehend in Vergessenheit geraten – vollkommen zu Unrecht. Denn der Roman zeigt, dass es durchaus zeitgenössische Stimmen gab, die eindrücklich vor den Gefahren antisemitischen, völkischen und nationalistischen Denkens warnten. Und der Erfolg des Buches – es wurden 240.000 Exemplare verkauft, schon kurz nach dem Erscheinen wurde es verfilmt und auch in Deutschland adaptiert (Artur Landsberger, »Berlin ohne Juden«) – zeigt, dass Bettauer einen Nerv getroffen hat.

Das Theaterstück kommt im Gewand einer satirischen Dokumentation daher. Der Inhalt des Romans dient als Tatsachenbericht und bildet die Grundlage einer fiktiven und alternativen Realität: Für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist der Antisemitismus eine kaum bekannte Episode der Geschichte. Denn das gescheiterte Vorhaben, alle Jüdinnen und Juden aus Österreich zu verbannen, führte schlussendlich dazu, dass der Antisemitismus seitdem praktisch ausgestorben ist. In dieser fiktiven Realität endet mit der Rücknahme der Antijudengesetze in Österreich die bis dahin schon sehr leidvolle Historie der Judenverfolgung – und wegen des abschreckenden Beispiels auch im Rest Europas. 

Für Hugo Bettauer, der einer jüdischen Familie entstammte und später zum Christentum konvertierte, und seine Hunderttausenden Leserinnen und Leser kurz nach dem Ersten Weltkrieg lag die Machtergreifung der Nazis, der Zweite Weltkrieg und die Schoah außerhalb der Vorstellungskraft. Das Wissen um die tatsächliche Geschichte, um den millionenfachen Mord an Jüdinnen und Juden sowie die unfassbaren Vernichtungsfeldzüge Deutschlands unter Adolf Hitler macht es heutzutage sehr schwer, die Wirkung von Bettauers Geschichte und seine Vorahnung auf die damalige Öffentlichkeit einzuordnen. Der Roman dürfte vielen Leserinnen und Lesern zu Beginn der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts grotesk erschienen sein – und anderen als die literarische Mahnung eines warnenden Autoren.

HUGO BETTAUER

Am 26. März 1925 starb der Schriftsteller, Journalist, Drehbuchautor und Herausgeber an den Folgen eines Anschlags: Wenige Tage zuvor richtete in Bettauers Redaktionsräumen ein NSDAP-Sympathisant eine Waffe auf den damals berühmten Literaten. 

In den Monaten davor wurde Hugo Bettauer das Opfer einer medialen Hetzkampagne. Für nationalistische, konservative und antisemitische Blätter war der aus einer jüdischen Familie stammende Intellektuelle das Abbild des liberalen und die Gesellschaft zersetzenden Juden. 

Vermeintliche Anlässe dafür gab es zuhauf: In seinen Romanen (z. B. »Hemmungslos«, »Die freudlose Gasse« und »Die schönste Frau der Welt«) thematisierte er das Abgründige, das Dreckige und das Abseitige der Nachkriegsgesellschaft. In den von ihm herausgegebenen Zeitschriften »Er und Sie« und »Bettauers Wochenschrift« setzte er sich für Gleichberechtigung und für die Akzeptanz von Homosexualität ein. Nicht zuletzt sein berühmtestes Werk »Die Stadt ohne Juden« brachte ihm den Ruf eines sehr wachen und aufmerksamen Beobachters ein. 

Geboren wurde Bettauer als Maximilian Hugo Betthauer am 18. August 1872. 1890 konvertierte er zum Christentum. In den Jahren darauf arbeitete er als Journalist in New York für verschiedene Zeitungen, später auch in Berlin und Hamburg. 1910 kam er zurück nach Wien. 

Sein Mörder, Otto Rothstock, wurde vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und stattdessen in eine Psychiatrie eingewiesen. Nach 18 Monaten verließ er sie als freier Mann. 

Presseinformationen

Interessierte aus den Medien finden hier weitere Informationen sowie Bilder.

UNTERSTÜTZT VON:

Der Senator für Kultur der freien Hansestadt Bremen

Waldemar Koch Stiftung

Karin und Uwe Hollweg Stiftung

Kulturzentrum Schlachthof


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